Zwischen Anpassung und Authentizität

19.06.2025

"Ich habe gelernt, wie man sich anpasst. Aber nie, wie man dabei ganz bleibt." In meinen Jahren im Arbeitsleben musste ich lernen, mich anzupassen. Immer wieder. Ich verstellte mich, passte mein Verhalten an das erwartete Bild an – das perfekte Social-Media-Posting, das gut organisierte Meeting, das empathische Lächeln. Doch damit habe ich mich selbst auf der Strecke gelassen. 

Heute arbeite ich im Employer Branding bei Wien Energie – und das stellt mich vor eine ganz neue Herausforderung: Wie bleibe ich authentisch? Wie kann ich neurodivergent sein – mit ADHS, Bipolarität und Borderline – und trotzdem dazugehören?

Neurodiversität verstehen

Neurodiversität beschreibt die natürliche Vielfalt menschlicher Gehirne. Anders als früher angenommen, sind neurologische Besonderheiten wie ADHS, Bipolarität oder Borderline keine Defekte, sondern Ausdruck normaler Variationen menschlicher Gehirnstrukturen. Der Begriff neurodivergent bezeichnet Menschen, deren Denk- und Verarbeitungsmuster von der gesellschaftlichen Norm abweichen.


Diese Abweichung ist kein Makel – im Gegenteil. Sie bringt Eigenschaften wie Kreativität, leidenschaftliches Denken, intensive Gefühle mit sich. Aber sie fordert förderliche Strukturen. Bei mir äußert sich das so:

  • ADHD bringt Hyperaktivität, Ideenflut, Geschwindigkeit – doch auch Reizoffenheit und Schwierigkeiten, sich zu strukturieren.

  • Bipolarität wirkt sich in emotionaler Tiefe und extremen Stimmungsschwankungen aus – Euphorie trifft auf Überforderung.

  •  Borderline mit intensiven Emotionen, starker Impulsivität, tiefen Verlustängsten und dem Drang, Nähe zu meiden.


All das erfordert im Job ein Umfeld, das mich nicht zwingt, stillzustehen. Sondern eines, das mich ermutigt, mein Potenzial zu zeigen – auch in meinem chaotischen Gehirn.

Mein Alltag bei Wien Energie – zwischen Druck und Freiheit

1. Rollenklärung & Rahmen schaffen


Im Employer Branding bei Wien Energie darf ich viel gestalten: Ich entwickle Kommunikation, organisiere Kampagnen, um die Employer-Brand zu stärken – und ich bringe meine kreative Energie ein. Doch mit ADHS ist das Chaos nah:

  • Hyperfokus: Mit voller Kraft stürze ich mich auf Projekte – dann vergesse ich Zeit oder Pausen.

  • Impulsivität: Ich teile Ideen spontan, manchmal mitten im Meeting – was nicht immer positiv ankommt.

  • Emotionale Vibes: In manischen Hochphasen fühle ich mich unschlagbar. In depressiven Tagen frage ich mich, ob alles nur Blödsinn ist.


Das Team hat mir geholfen, Strukturen zu finden:

  • Buddy-System: Immer ein Ansprechpartner, mit dem ich kommunizieren kann, wenn ich unsicher bin.

  • Klarer Arbeitsrahmen: To-Do-Listen, Zeitfenster, Checkpoints – als ADHS-Schutzschild gegen Überwältigung.

  • Offene Fragenräume: "Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst", ist kein leerer Satz, sondern gelebte Unterstützung.


Diese Rahmenbedingungen geben mir Sicherheit – und ermöglichen es mir, authentisch zu arbeiten.


2. Emotionale Regulierung im Berufsalltag


Mit Borderline-Schattierungen und bipolarer Tiefe war ich oft in Fluss zwischen Mut, Euphorie, Leere und Wut:

  • Konflikte fühlten sich wie Katastrophen an.

  • Kritik ließ mich glauben, nie gut genug zu sein.

  • Manische Phasen raubten mir den Schlaf – depressive rissen mich nach unten.


Im Arbeitskontext helfen mir:

  • Regelmäßige Supervision: Ich reflektiere emotionale Höhen und Tiefen mit Kolleg:innen – und schaffe Abstand zu mir selbst.

  • Kurze Pausen & Atemübungen: Vor Meetings, nach einem kräftezehrenden Anruf – sie stabilisieren mich.

  • Ehrliche Kommunikation: Ich sage: "Ich habe gerade eine Grenzerfahrung". Offenheit schafft Raum – und Vertrauen.


Und das Team reagiert nicht mit Befremden, sondern mit Mitgefühl und Verständnis.


3. Kreativität als Ressource


Meine neurodiversen Stärken schlagen sich besonders in kreativen Momenten nieder:

  • Ideenblitze: Wenn alle denken, er fällt aus – meistens liefert er eine unkonventionelle Lösung.Emotionale Tiefen: In Storytelling, Employer-Brand-Content oder Key Visuals nutze ich meine intensive Wahrnehmung – das schafft Authentizität.

  • Empathische Verbindungen: Ich spüre, was Menschen brauchen – und ich kann es in klarer, echter Sprache kommunizieren.


Was ich brauche, ist: Raum für diese Denkweise. Sponsoring für unkonventionelle Ideen. Und Vertrauen – darauf basieren meine besten Beiträge.

Tipps für neuroinklusive Arbeitswelten

Ich wünsche mir für alle neurodivergenten Mitarbeitenden:

  1. Buddy-System: Eine fixe Bezugsperson, die unterstützt und versteht.

  2.  Struktur & Flexibilität: Transparente Prozesse, feste Zeitfenster – mit Freiraum für kreative Phasen.

  3. Emotionale Sicherheit: Reflexionsräume, offene Kommunikation, keine Angst vor Fehlern.

  4. Individuelle Anpassungen: Höhen, Konzentrationsphasen, Pausenflexibilität – anstelle von "alle gleich behandeln".

  5. Neurodiversität als Stärke feiern: Statt "trotzdem", sagen wir "genau deshalb".


Solche Maßnahmen schaffen nicht nur Inklusion. Sie setzen Potenziale frei – und genau darum geht Employer Branding: Vielfalt sichtbar machen und gestalten.

Mein Fazit: Ich bin ich – und das ist gut so

Früher habe ich mich im Job angepasst. Ich habe geprüft: Was erwartet mein Gegenüber? Welche Haltung ist gerade "richtig"? Dabei habe ich viel auf dem Weg verloren: Kreativität, Lebensfreude, mein Bauchgefühl.


Heute weiß ich: Anpassung ist nur dann sinnvoll, wenn ich dabei ganz bleibe. Dass ich bei Wien Energie sein darf – nicht trotz, sondern weil ich neurodivergent bin – ist ein Privileg. Ein Geschenk. Eine Verantwortung.


Meine Reise lehrt mich: Wenn du gelernt hast, dich anzupassen, ist das eine Leistung. Wenn du aber lernst, dich selbst zu sein – auch im Job – ist das Freiheit. In Echtzeit. Mit ADHS, Bipolarität, Borderline. Meine Authentizität ist ein Geschenk – für mich, für das Team, für jedes Projekt, das wir gemeinsam gestalten.


Deshalb schreibe ich diesen Artikel: Für alle, die gelernt haben, sich zu verbiegen. Für diejenigen, die spüren, dass Anpassung allein nicht reicht. Und für alle, die die Welt neugestalten wollen – mit einem neurodiversen Blick.

Wenn du diesen Text berührt, neugierig oder bestätigend findest – dann bist du hier genau richtig. Willkommen bei Mindful Journey – wo du so sein darfst, wie du wirklich bist.