Borderline und die Stimmen in meinem Kopf

14.02.2025

Ein Flüstern, ein Befehl, ein Urteil – die Stimmen im Kopf lügen, doch sie fühlen sich real an. Kann Achtsamkeit, Therapie und Unterstützung helfen, sie zu durchbrechen? Ein Kampf gegen das Unsichtbare beginnt.

"Du kannst das nicht richtig! Du hast gerade alles falsch gemacht!"

Diese Worte hallen in meinem Kopf wider, und mit ihnen kommt das plötzliche, unaufhaltsame Gefühl, dass sie wahr sind. Die Stimmen in meinem Kopf lassen keinen Raum für Zweifel – sie haben immer recht. Egal, wie sehr ich mich bemühe, egal, wie gut ich meine Arbeit mache, sie finden immer einen Weg, mich zu verunsichern. Und in diesen Momenten glaube ich ihnen.

Das ist meine Realität mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Die Stimmen tauchen aus dem Nichts auf, reißen mich aus der Gegenwart und ziehen mich in ein tiefes emotionales Loch. Sie flüstern mir zu, dass ich schlecht, behindert und dumm bin. Dass ich meinen Job als Praktikant im Personalwesen bei Wien Energie nicht verdiene. Dass ich niemals gut genug sein werde.

Doch trotz dieser dunklen Gedanken gibt es Licht – und dieses Licht ist mein Team.

Unterstützung, die den Unterschied macht

Meine Kolleginnen stehen hinter mir, auch wenn ich es selbst nicht tue. Sie sehen nicht nur meine Unsicherheiten, sondern auch meine Stärken. Sie sind da, wenn die Stimmen mich zu Boden reißen, wenn die depressive Phase mich lähmt, wenn ich mich selbst nicht mehr ertragen kann.

Egal, wie oft ich frage, ob ich die Aufgabe richtig verstanden habe, egal, wie oft ich mich selbst enttäusche – sie bleiben geduldig. Sie nehmen mich ernst, ohne mich zu bemitleiden. Sie geben mir Rückhalt, ohne mich zu erdrücken. Sie helfen mir, durch die dunklen Phasen zu kommen, weil sie wissen: Jeder Mensch verdient ein unterstützendes Arbeitsumfeld, egal mit welchen Herausforderungen er zu kämpfen hat.

Und genau das macht den Unterschied.

Stimmenhören bei Borderline-Persönlichkeitsstörung

Es gibt viele Missverständnisse über die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Die meisten Menschen denken an extreme Stimmungsschwankungen oder selbstverletzendes Verhalten. Doch ein weniger bekanntes, aber ebenso belastendes Symptom ist das Hören von Stimmen.

Laut Studien berichten zwischen 50 und 90 % der Betroffenen von auditiven Halluzinationen – also Stimmen, die sie beleidigen, verunsichern oder sogar Befehle geben. Diese Stimmen sind keine eingebildeten Gedanken, sondern klingen real.

Im Gegensatz zur Schizophrenie sind sich Borderline-Betroffene jedoch meist bewusst, dass die Stimmen nicht echt sind. Trotzdem können sie unglaublich real erscheinen und die emotionale Stabilität massiv beeinträchtigen.

Warum höre ich Stimmen?

Die Ursachen für das Stimmenhören bei Borderline sind nicht abschließend geklärt. Wissenschaftler vermuten, dass frühkindliche Traumata, Vernachlässigung oder Missbrauch eine Rolle spielen. Das Gehirn entwickelt Schutzmechanismen, um mit überwältigendem Stress umzugehen – und einer davon könnte das Stimmenhören sein.

Besonders in Momenten intensiver Angst oder emotionaler Belastung treten diese Stimmen verstärkt auf. Sie spiegeln oft die negativen Glaubenssätze wider, die sich über Jahre in das Selbstbild eingebrannt haben.

Ein harter Kampf – jeden Tag aufs Neue

Ich kann nicht einfach einen Knopf drücken und die Stimmen abschalten. Sie sind da, ob ich will oder nicht. Manchmal sind sie leise, ein nerviges Flüstern im Hintergrund. Manchmal sind sie laut, brüllend, erdrückend.

Und an schlechten Tagen sind sie alles, was ich höre.

An solchen Tagen hilft mir mein Team, mich wieder auf den Boden der Realität zu holen. Sie erinnern mich daran, dass meine Gedanken nicht die Wahrheit sind. Dass ich wertvoll bin. Dass ich in meinem Job einen Beitrag leiste.

Therapie und Strategien zum Umgang mit den Stimmen

Strategien im Umgang mit Stimmen: Achtsamkeit, Stimmendialoge & Kognitive Umstrukturierung

Das Leben mit einer psychischen Erkrankung wie Borderline oder anderen Formen von Stimmenhören kann eine tägliche Herausforderung sein. Doch es gibt bewährte Methoden, die helfen, den Umgang mit belastenden inneren Stimmen zu verbessern. In diesem Beitrag möchte ich drei Techniken vorstellen, die mir persönlich helfen, mehr Kontrolle über meine Gedanken zu gewinnen: Achtsamkeitstraining, Stimmendialoge und Kognitive Umstrukturierung.

Diese Strategien stammen aus verschiedenen therapeutischen Ansätzen, insbesondere aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT), der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) und der Schema-Therapie. Sie bieten Werkzeuge, um mit belastenden Stimmen umzugehen, negative Denkmuster zu hinterfragen und das eigene Selbstbild nachhaltig zu stärken.

1. Achtsamkeitstraining: Den Moment bewusst erleben

Warum ist Achtsamkeit so wichtig?
Achtsamkeit hilft, sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren, ohne von negativen Gedanken oder Stimmen überwältigt zu werden. Besonders bei Borderline und ADHS kann der Geist oft zwischen extremen Emotionen und inneren Konflikten hin- und herspringen. Achtsamkeit trainiert, Gedanken bewusst wahrzunehmen, sie aber nicht automatisch als Wahrheit zu akzeptieren.

Wie kann Achtsamkeit gegen belastende Stimmen helfen?
Oft wirken die Stimmen im Kopf überwältigend, weil sie eine starke emotionale Reaktion auslösen. Achtsamkeit hilft dabei, eine gesunde Distanz zu diesen Gedanken zu entwickeln, anstatt sich von ihnen mitreißen zu lassen.

Praktische Übungen für den Alltag

5-4-3-2-1-Methode: Diese Übung hilft, sich im Hier und Jetzt zu verankern:

  • Nenne 5 Dinge, die du sehen kannst.
  • Nenne 4 Dinge, die du fühlen kannst.
  • Nenne 3 Dinge, die du hören kannst.
  • Nenne 2 Dinge, die du riechen kannst.
  • Nenne 1 Ding, das du schmecken kannst.

Bodyscan: Nimm dir ein paar Minuten Zeit, um bewusst durch deinen Körper zu gehen und deine Empfindungen wahrzunehmen. Wo spürst du Anspannung? Wo fühlst du Wärme oder Kälte? Diese Übung hilft, sich zu erden.

Atmen mit Fokus: Konzentriere dich auf deinen Atem – zähle z. B. beim Einatmen bis vier, halte den Atem kurz an und atme langsam aus. Wenn Gedanken oder Stimmen auftauchen, beobachte sie, aber steige nicht in den Inhalt ein.

Radikale Akzeptanz: Anstatt gegen die Stimmen anzukämpfen, kann es helfen, sie zu akzeptieren, ohne sich von ihnen definieren zu lassen. Du kannst dir sagen: "Ich höre diese Stimme, aber sie ist nicht meine Wahrheit."

2. Stimmendialoge: Den Stimmen ihre Macht nehmen

Was sind Stimmendialoge?
Stimmendialoge sind eine Methode, um die eigenen inneren Stimmen zu hinterfragen, mit ihnen in einen Dialog zu treten und ihre Aussagen kritisch zu beleuchten. Anstatt sie als absolute Wahrheit zu akzeptieren, kannst du sie umformulieren und ihre Wirkung abschwächen.

Warum funktionieren Stimmendialoge?
Oft sind die Stimmen im Kopf ein Spiegel vergangener Erfahrungen – z. B. Kritiker aus der Kindheit, erlebte Zurückweisungen oder Ängste. Indem man mit ihnen "spricht", nimmt man ihnen die Kontrolle und lernt, sich aktiv gegen sie zu wehren.

Wie kann ich Stimmendialoge nutzen?

Die Stimme benennen
Gib der belastenden Stimme einen Namen oder eine bestimmte Rolle. Beispielsweise: "Das ist die Kritiker-Stimme" oder "Das ist die Angst-Stimme". Dies hilft, sie als eigenständigen Teil zu betrachten und nicht als untrennbaren Bestandteil der eigenen Identität.

Die Aussagen hinterfragen
Beispiel für einen inneren Dialog:

  • Stimme: "Du bist unfähig, du machst alles falsch."
  • Antwort: "Wirklich? Kannst du mir Beweise liefern, dass ich immer versage?"
  • Stimme: "Niemand mag dich."
  • Antwort: "Das stimmt nicht, ich habe Menschen, die mich schätzen und unterstützen."

Die Macht der Stimme schwächen
Falls eine Stimme besonders aufdringlich ist, kann es helfen, sie sich mit einer absurden oder lächerlichen Stimme vorzustellen – z. B. mit einer Cartoon-Stimme oder als winzige, quietschende Maus. Dies kann die emotionale Reaktion auf die Stimme abschwächen.

Aufschreiben und umformulieren
Eine einfache, aber effektive Methode: Schreibe auf, was die Stimme sagt, und dann formuliere es in einer positiven oder neutralen Version um.

Beispiel:

  • Negative Stimme: "Du wirst das nie schaffen."
  • Neue Version: "Ich habe Herausforderungen gemeistert und kann auch diese schaffen."

3. Kognitive Umstrukturierung: Negative Denkmuster durchbrechen

Was ist kognitive Umstrukturierung?
Diese Technik stammt aus der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) und hilft dabei, negative Gedankenmuster zu erkennen, zu hinterfragen und durch realistischere zu ersetzen.

Warum ist das wichtig?
Menschen mit Borderline oder anderen psychischen Erkrankungen neigen oft zu katastrophisierendem Denken, Schwarz-Weiß-Denken oder Selbstabwertung. Die kognitive Umstrukturierung hilft, Gedanken nicht mehr automatisch als Wahrheit zu akzeptieren, sondern Alternativen zu entwickeln.

Schritte zur kognitiven Umstrukturierung

Gedanken bewusst wahrnehmen
Achte auf wiederkehrende negative Gedanken. Oft sind sie automatisiert und laufen im Hintergrund ab.

Hinterfrage die Realität des Gedankens

Frage dich:

  • Ist dieser Gedanke wirklich wahr oder nur eine Interpretation?
  • Gibt es Beweise dafür, dass dieser Gedanke zutrifft?
  • Gibt es alternative Sichtweisen?

Gedanken umformulieren
Wenn du z. B. denkst:

  • "Ich bin ein Versager." → Ersetze es durch: "Ich habe Fehler gemacht, aber das bedeutet nicht, dass ich wertlos bin."
  • "Niemand interessiert sich für mich." → "Es gibt Menschen, die mich mögen, auch wenn ich mich gerade einsam fühle."

Neue Gedanken verankern
Notiere die umformulierten Gedanken regelmäßig und lies sie dir in schwierigen Momenten durch.

Forschung: Was wir noch nicht wissen

Trotz aller Fortschritte gibt es noch viele offene Fragen. Neurowissenschaftler untersuchen derzeit, ob die Gehirnaktivität während des Stimmenhörens bei Borderline-Patienten der von Schizophrenie-Patienten ähnelt. Erste Studien deuten darauf hin, dass es neurologische Parallelen gibt.

Es bleibt zu hoffen, dass künftige Forschungen neue Therapieansätze ermöglichen, um Betroffenen noch gezielter helfen zu können.

Mein Fazit: Ich bin nicht allein – und du auch nicht

Die Stimmen in meinem Kopf werden nicht von heute auf morgen verschwinden. Sie sind Teil meiner Realität. Aber sie definieren mich nicht.

Dank meines Teams, meiner Therapie und meiner eigenen Stärke habe ich gelernt, dass ich ihnen nicht alles glauben muss. Ich bin mehr als die negativen Gedanken, die in mir aufsteigen. Ich bin mehr als meine Krankheit.

Und falls du dich in meinen Worten wiedererkennst: Du bist nicht allein. Suche dir Unterstützung, sei es durch Therapie, ein verständnisvolles Umfeld oder eine Community von Menschen, die das Gleiche durchmachen.

Denn jeder Mensch verdient ein Leben, in dem er sich wertgeschätzt und unterstützt fühlt – egal, welche Stimmen ihn be