Borderline & Beziehungen – Nähe, Angst und das Chaos dazwischen

27.10.2025

"Wenn es ungesund ist, ist mir das egal. Denn selbst wenn es mich umbringt, werde ich immer deine Hand halten." Dieser Satz beschreibt das, was viele mit Borderline erleben: das extreme Bedürfnis nach Nähe – und gleichzeitig die panische Angst, sie zu verlieren. Liebe fühlt sich dann nicht wie ein sicherer Hafen an, sondern wie ein Sturm. Und ich war mittendrin.

Wenn Liebe alles bedeutet – und man sich selbst verliert

Ich war bereit, alles zu tun, um meine Beziehung zu retten. Ich hätte mich tätowieren lassen, von einer Brücke springen können – Hauptsache, ich verliere ihn nicht. Ben war meine große Liebe. Mein Mittelpunkt. Mein Zuhause. Ohne ihn fühlte sich die Welt leer an, bedeutungslos.

Als unsere Beziehung begann, war sie intensiv, leidenschaftlich, tief. Doch mit der Zeit wurde sie zu einem Kampf – nicht nur zwischen uns, sondern auch in mir selbst.

Meine Emotionen schwankten wie ein Pendel zwischen Liebe und Wut, Hoffnung und Verzweiflung. Ich konnte in einem Moment Ben anhimmeln – und ihn im nächsten anschreien, ohne zu verstehen, warum.

Borderline fühlt sich an, als würde man gleichzeitig zu viel und zu wenig empfinden. Es ist, als würde man in einem emotionalen Orkan leben, während man versucht, stillzuhalten. Und wer das nie erlebt hat, versteht kaum, wie weh Liebe tun kann, wenn sie zur Obsession wird.

Wenn Angst stärker ist als Vernunft

Die Angst, verlassen zu werden, war mein ständiger Begleiter. Jede Distanz, jeder Rückzug – selbst ein verschobenes Treffen – fühlte sich an wie ein Verrat.

Ich spürte, wie Ben sich langsam entfernte. Körperlich, emotional, Schritt für Schritt. Keine Umarmungen mehr, kein gemeinsames Einschlafen, kein vertrautes Lachen.

Ich klammerte mich noch fester.

Ich ging in Therapie, nahm Medikamente, suchte neue Hobbys – alles, um nicht mehr so viel Druck auf ihn auszuüben. Doch der Versuch, mich selbst zu retten, fühlte sich an, als würde ich im Treibsand strampeln. Je mehr ich kämpfte, desto tiefer sank ich.

Die Wahrheit ist: Ich wollte unsere Liebe retten – und verlor mich dabei selbst.

Wenn Liebe zur Selbstzerstörung wird

Borderline in Beziehungen bedeutet: Nähe ist berauschend – aber sie kann auch zerstören.

Ich habe in dieser Zeit alles gespürt:

Wut, weil ich mich abgelehnt fühlte.

Leere, weil ich nicht wusste, wer ich ohne ihn war.

Verzweiflung, weil ich dachte, ohne Liebe sterbe ich.

Ich hatte vier psychiatrische Aufenthalte in dieser Zeit. Ich war erschöpft, leer, und doch voller Sehnsucht. Ben blieb, obwohl er längst auf Distanz ging. Und ich wusste: Er war müde. Von mir. Von der Krankheit. Von den Extremen.

Wir lebten irgendwann nebeneinander her – ohne Nähe, ohne Berührung, ohne Verbindung. Ich spürte, wie etwas in mir zerbrach. Und gleichzeitig konnte ich nicht loslassen.

Was Borderline in Beziehungen bedeutet

Fachärztlich gesehen ist die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) eine tiefgreifende Störung der Emotionsregulation.

Typische Merkmale sind:

  • starke Stimmungsschwankungen
  • impulsives Verhalten
  • Angst vor dem Verlassenwerden
  •  instabile Beziehungen
  • ein schwankendes Selbstbild
  • Selbstverletzungen oder riskantes Verhalten

Menschen mit Borderline erleben Gefühle intensiver als andere. Eine kleine Zurückweisung kann wie ein Weltuntergang wirken. Gleichzeitig gibt es Momente, in denen man nichts fühlt – völlige Leere, Taubheit, Entfremdung.

Diese Extreme machen Beziehungen schwierig, aber nicht unmöglich. Sie erfordern Verständnis, Geduld – und klare Grenzen.

Therapieansätze, die helfen können

Heute weiß ich: Liebe allein reicht nicht, wenn man sich selbst verliert.

  1. Was mir geholfen hat – und was auch Fachärzte empfehlen – ist ein ganzheitlicher Ansatz:
  2. Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT): Diese Therapieform hilft, Emotionen zu regulieren, Impulse zu steuern und Achtsamkeit zu trainieren. Ich habe dort gelernt, zwischen Gefühl und Handlung zu unterscheiden – und Pausen zu schaffen, bevor ich reagiere.
  3. Struktur und Routinen: Feste Tagesstrukturen, klare Abläufe und kleine Rituale helfen, Stabilität zu schaffen, wenn das Innere chaotisch ist.
  4. Körperliche Bewegung & Achtsamkeit: Taekwondo, Spaziergänge, Meditation – all das hilft mir, Spannung abzubauen, ohne mich selbst zu verletzen.
  5. Offene Kommunikation: Ich spreche heute offener über meine Grenzen. Sage, wenn ich Angst habe. Wenn ich Rückzug brauche. Und wenn ich merke, dass meine Gedanken kippen.
  6. Professionelle Begleitung: Regelmäßige Gespräche mit Therapeut:innen, Psychiater:innen und meinem psychosozialen Dienst (PSD) sind meine Sicherheitsnetze.

Wie ich heute mit Borderline und Beziehungen umgehe

Ich weiß, dass meine Angst, zu verlieren, nie ganz verschwinden wird. Aber ich habe gelernt, sie zu verstehen.

Wenn ich merke, dass alte Muster hochkommen – Eifersucht, Panik, Wut – atme ich. Ich ziehe mich kurz zurück, schreibe meine Gedanken auf, wende Skills aus der DBT an: kaltes Wasser, Atemtechniken, bewusste Körperwahrnehmung.

Ich habe auch gelernt, dass Liebe kein Kampfplatz ist. Dass Nähe Raum braucht. Und dass ich geliebt werden kann, auch wenn ich nicht perfekt bin.

Ich bin heute dankbar für die Menschen, die geblieben sind. Die mich nicht retten wollten, sondern mir halfen, mich selbst zu retten.

Tipps für Betroffene und Angehörige

Für dich, wenn du Borderline hast:

  • Akzeptiere, dass du fühlen darfst – aber nicht jedes Gefühl handeln musst.
  • Lerne, wann du Abstand brauchst.
  • Führe ein Stimmungstagebuch – es hilft, Muster zu erkennen.
  • Nutze Skills: kaltes Wasser, Musik, Bewegung, Schreiben.
  • Such dir Hilfe, bevor es zu viel wird. Nicht, wenn du schon fällst.
  • Für Partner:innen und Angehörige:
  • Lies über Borderline. Wissen schützt vor Missverständnissen.
  • Nimm Ausbrüche nicht persönlich – sie sind Teil der Erkrankung.
  • Setze Grenzen, liebevoll, aber klar.
  • Vergiss dein eigenes Wohlbefinden nicht – Selbstfürsorge ist kein Egoismus.

Fazit: Liebe ist keine Therapie – aber sie kann Heilung begleiten

Ich habe gelernt, dass Liebe keine Rettung ist. Sie ist eine Verbindung – zwischen zwei Menschen, die sich gegenseitig sehen.

Mit Borderline zu lieben, bedeutet, mutig zu sein.

Sich jeden Tag neu zu entscheiden – für sich selbst, für den anderen, für das Leben.

Ich liebe heute anders. Nicht weniger, aber bewusster.

Und ich weiß:

Ich darf lieben, ohne mich zu verlieren.

Ich darf fühlen, ohne daran zu zerbrechen.

Ich darf ich sein – mit allem, was dazugehört.