Arbeitsproblematik im Zusammenhang mit Bipolar-Störung

13.11.2024

Stell dir vor, du bist in einem Arbeitsumfeld, das sich anfühlt wie ein ständiges Tauziehen zwischen extremen Höhen und tiefen Tiefen. So erlebte ich es, als ich während meiner Lehrzeit und später im Management mit der Bipolaren Störung kämpfte. Die Worte meiner Lehrherrin: "Du wirst es nie zu etwas bringen", brannten sich in mein Selbstbewusstsein ein und lösten einen Teufelskreis aus. Der Leistungsdruck und die unkontrollierbaren Stimmungsschwankungen machten es mir unmöglich, stabil zu bleiben. In Phasen der Euphorie war ich unaufhaltsam, schaffte Auszeichnungen und leitete Teams, doch die darauffolgenden depressiven Episoden führten zu Wutausbrüchen und Panikattacken. Bis ich schließlich ins Burnout stürzte. Aber was kann man aus dieser Erfahrung lernen, und wie kann das HR-Management Mitarbeitende in ähnlichen Situationen unterstützen?

Leistungsdruck und Stimmungsschwankungen: 

Wie kann das HR-Management Mitarbeitende unterstützen, die durch Leistungsdruck zu manischen oder depressiven Episoden getrieben werden?

Problemstellung:
Leistungsdruck kann für Menschen mit Bipolarer Störung eine gefährliche Gratwanderung sein. In meiner Lehrzeit erlebte ich diesen Druck auf die schlimmste Art. Als Lehrling im Textilhandel wurde ich ständig herabgewürdigt und kritisiert. Meine Bemühungen, Wissen zu erlangen, wurden nicht anerkannt, sondern mit abfälligen Bemerkungen wie: "Du bist ja dumm! Du wirst es nie zu etwas bringen!" bestraft. Diese Erfahrungen trieben mich in extreme Stimmungsschwankungen – von euphorischen Hochs, in denen ich dachte, ich könne alles schaffen, zu depressiven Tiefs voller Selbstzweifel und zerstörerischen Wutanfällen.

Tipps und Tricks für HR:

  1. Individuelle Arbeitspläne: Flexible Arbeitszeiten können helfen, den inneren Druck zu mindern. Ich selbst fand später Erleichterung, als ich mir eigene Lernstrategien entwickelte und mir Erfolgserlebnisse in kleinen Schritten ermöglichte. HR könnte solche individuellen Pläne fördern, um Hochphasen produktiv zu nutzen und in Schwächephasen Rücksicht zu nehmen.
  2. Regelmäßige Check-ins: Wertschätzende, regelmäßige Gespräche schaffen ein Gefühl der Unterstützung. Auch ich hätte mir damals einen offenen Austausch gewünscht, der Raum für meine Herausforderungen ließ, statt ständiger Kritik.
  3. Reduktion von Stressoren: HR kann Stressbewältigungstrainings wie Achtsamkeitsübungen anbieten. Rückblickend hätte mir ein solches Angebot geholfen, mit den schlagartigen Stimmungsschwankungen besser umzugehen.
  4. Klar definierte Aufgaben: Strukturierte und realistische Ziele verhindern Überforderung. In meiner Managementrolle halfen mir machbare Etappen, mich auf die Aufgaben zu konzentrieren, ohne in Euphorie oder Depression zu verfallen.
  5. Mentoren-Programme: Ein Buddy-System im Unternehmen schafft ein Gefühl der Sicherheit. Gerade für Mitarbeitende mit Bipolarer Störung kann die Unterstützung durch erfahrene Kolleg*innen stabilisierend wirken.

Fehlzeiten und Umgang mit Krankenständen: 

Strategien, um mit häufigen Fehlzeiten umzugehen, ohne die betroffenen Mitarbeitenden zu stigmatisieren


Problemstellung:
In meinem Berufsleben führten die extremen Stimmungsschwankungen oft zu Fehlzeiten. Besonders in depressiven Phasen war es kaum möglich, den Arbeitsalltag zu bewältigen. Diese Unterbrechungen sind für das Team herausfordernd, doch sie dürfen nicht dazu führen, dass Betroffene stigmatisiert oder als unzuverlässig angesehen werden.

Tipps und Tricks für HR:

  1. Stigmatisierung vermeiden: Eine Unternehmenskultur der Offenheit und Sensibilisierung für psychische Erkrankungen kann Vorurteile bekämpfen. Ich erinnere mich daran, wie wichtig es gewesen wäre, ein verständnisvolles Umfeld zu haben, anstatt Angst vor weiteren Demütigungen zu verspüren.
  2. Flexible Rückkehrpläne: Nach Fehlzeiten könnte ein schrittweises Wiedereingliederungskonzept den Übergang erleichtern. Als ich einmal nach einer schwierigen Phase zurückkehrte, hätte mir diese Art der Unterstützung sehr geholfen.
  3. Erhaltung der Privatsphäre: Die Achtung der Privatsphäre ist essenziell. Betroffene sollten sich sicher fühlen, dass ihre gesundheitlichen Probleme nicht offen diskutiert werden.
  4. Unterstützungsprogramme: HR kann anonyme Beratung oder Coaching anbieten, um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, selbstständig Hilfe zu suchen. Ein solches Angebot hätte mir Kraft gegeben, mich selbst zu stabilisieren.
  5. Sinnvolle Vertretungsregelungen: Ein Plan, um Aufgaben fair zu verteilen, verhindert, dass sich Betroffene schuldig fühlen, das Team im Stich zu lassen. Diese Maßnahme schafft Sicherheit für alle Beteiligten.

Überforderung und Burnout-Prävention: 

Problemstellung:
Der Drang, immer mehr zu leisten, führte in meinem Fall zu einem Burnout. Ich arbeitete oft mehr als 150% und versuchte, meine innere Leere durch Erfolge zu kompensieren. Doch ohne Rücksicht auf meine psychische Gesundheit trieb ich mich in eine Erschöpfungsspirale, aus der ich nur schwer entkam.

Tipps und Tricks für HR:

  1. Frühwarnsysteme etablieren: Führungskräfte sollten geschult werden, Anzeichen von Überlastung zu erkennen, z.B. Reizbarkeit oder Konzentrationsprobleme. Meine Stimmungsschwankungen waren deutlich sichtbar, und rechtzeitiges Eingreifen hätte viel verhindern können.
  2. Schutz vor Überlastung: Die Arbeitsbelastung regelmäßig zu überprüfen und fair zu verteilen, ist wichtig. Auch in manischen Phasen, in denen ich unaufhaltsam schien, hätte eine klare Begrenzung geholfen, einen Absturz zu vermeiden.
  3. Gesundheitsfördernde Maßnahmen: Stressbewältigungs-Workshops oder Achtsamkeitstraining stärken die Resilienz. Ich hätte diese Werkzeuge gebraucht, um den täglichen Stress besser zu managen.
  4. Erholungszeiten respektieren: Die Ermutigung zu regelmäßigen Pausen und ein Ruheraum im Büro können Wunder wirken. Solche Rückzugsorte wären für mich eine Rettung gewesen, um nicht ständig auf Höchstleistung zu arbeiten.
  5. Balance zwischen Arbeit und Privatleben: Feste Strukturen, die Flexibilität bieten, sind entscheidend. Bei meiner Neigung, immer mehr erreichen zu wollen, wäre eine klare Work-Life-Balance unverzichtbar gewesen.

Fazit:

Eine inklusive Arbeitsumgebung, die auf die Bedürfnisse von Mitarbeitenden mit Bipolarer Störung eingeht, erfordert keine radikalen Veränderungen, sondern Flexibilität, offene Kommunikation und gezielte Unterstützung. Mit der richtigen Balance aus Struktur und Verständnis können Betroffene im Job aufblühen und stabile Leistungen erbringen. Das Ziel ist ein Umfeld, in dem sich alle Mitarbeitenden wohl und sicher fühlen – unabhängig von ihrer psychischen Verfassung.